„Die Chancen sind so viel größer als die Risiken“
Frankfurt, 21. September 2023 – Noch steht nicht fest, ob und für welches Jahr sich Deutschland um die Austragung Olympischer und Paralympischer Spiele bewerben wird. Kaum eine Frage wurde so oft diskutiert wie: „Sind die Olympischen Spiele 2036 eine Chance oder ein Risiko für unser Land?“ Mit dieser und weiteren Fragen zur Historie und Aufarbeitung der bisherigen Spiele in Deutschland haben sich die Gäste unseres Talks “1936-1972-2036?“ beschäftigt.
In weiten Teilen habe Deutschland die vergangenen Olympischen Spiele 1936 und 1972 bereits aufgearbeitet – es gelte nun vor allem, diese Erkenntnisse mit der breiten Öffentlichkeit zu teilen. Bei einer möglichen Bewerbung um Spiele 2036 würden die Chancen überwiegen, sofern man das Gelernte aus der Vergangenheit nutze, um 100 Jahre nach den Propaganda-Spielen, ein Zeichen für Weltoffenheit und interkulturelles Miteinander zu setzen. An Berlin als möglichem Austragungsort führe dann aus Sicht der Expert*innen kaum ein Weg vorbei.
Das waren die Aussagen der fünf Expert*innen:
Torsten Burmester – Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbunds
„Ich hatte lange die Haltung: Olympia 2036 in Berlin – keinesfalls. Mittlerweile sage ich: auf jeden Fall. Denn wir haben die Voraussetzungen dafür, es 100 Jahre danach anders und besser zu machen.“
„Der DOSB und die Verbände sollten im Rahmen einer Olympiabewerbung den Diskurs zur Aufarbeitung der vergangenen Spiele in Deutschland weiter anregen und alles, was bereits aufgearbeitet wurde, in die Öffentlichkeit tragen.“
„In Zeiten wie diesen brauchen wir Projekte wie Olympia, hinter denen sich die Gesellschaft vereinen kann.“
Hannah Lühmann – stellvertretende Ressortleiterin Feuilleton WELT
„Ich habe starke Zweifel daran, dass unsere Demokratie so gefestigt ist, wie wir sie wahrnehmen. Deshalb kann ich mich nicht für Olympia 2036 in Berlin aussprechen.“
„Mir fehlt eine klare Vision, wie eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung und Erinnerungsarbeit im Kontext möglicher Spiele 2036 stattfinden kann.“
„Sportgroßveranstaltungen können ein Trigger für gesellschaftlichen Wandel sein. Allerdings zweifle ich daran, dass wir dadurch alle Teile der Gesellschaft erreichen.“
Rikola-Gunnar Lüttgenau – Leiter Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
„Es geht nicht nur darum zu verstehen, wie die Nazis die Spiele missbraucht haben, sondern auch darum zu verstehen, welche Kontinuität in der Gesellschaft es möglich gemacht, dass der Sport durch die Nationalsozialisten so vereinnahmt werden konnte.“
„Es ist ein großes Projekt, den Sport und die Sportvereine als Lernort der Demokratie zu begreifen. Dabei könnte uns Olympia helfen.“
Alon Meyer – Präsident Makkabi Deutschland e.V.
„Ich glaube genau 100 Jahre später können wir das Ganze viel ernsthafter thematisieren. Vor, während und auch nach den Spielen. Und wir können zeigen, was wir aus der Vergangenheit gelernt haben. Der Sport war nie unpolitisch. Warum nutzen wir den Sport dann nicht positiv politisch?“
„Mit DEINE IDEEN. DEINE SPIELE. hat der DOSB gezeigt, dass er aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und die Bevölkerung nun von Anfang an mitnimmt. Genau das erwarte ich auch, wenn es um das Thema 2036 geht.“
„Die Chancen sind so viel größer als die Risiken. Wir sind in Deutschland so weit, dass wir die Risiken erkannt haben, ernst nehmen und unsere Erfahrungen nutzen, um aus Olympia 2036 schöne, große, bunte Spiele zu machen.“
Christopher Young – Historiker und Mitglied der Kommission zur Aufarbeitung des Olympia-Attentats 1972
„Das IOC und die Sportwelt brauchen ein Konzept für die Aufarbeitung der Spiele 1936. Warum also nicht eins mit Spielen in Deutschland?“
„Ich bin für eine Austragung der Spiele 2036 in Deutschland, weil dieses ‚Jubiläum‘ uns und die Welt dazu zwingen würde, über die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft zu sprechen.“
Zur Aufzeichnung des Talks.