„Sport, Spiel und Spannung“ – das ist die Formel Froböse für unsere Olympiabewerbung

Anlässlich des Weltgesundheitstages am 7. April haben wir mit Sportwissenschaftler und Gesundheitsexperte Prof. Dr. Ingo Froböse über mangelnde Bewegung und deren Folgen sowie mögliche Maßnahmen und Impulse durch Olympische und Paralympische Spiele gesprochen.

Ingo Froböse auf seinem Platz auf der Tribüne des ASV Köln.
Ingo Froböse auf seinem Platz auf der Tribüne des ASV Köln. © Sebastian Bahr

Nur ein Bruchteil der deutschen Bevölkerung bewegt sich ausreichend. Woran liegt das?

In der Tat bewegen sich in Deutschland je nach Altersgruppe 85-90 Prozent der Menschen entsprechend den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation zu wenig. Auf der anderen Seite haben wir mittlerweile Sitzzeiten von durchschnittlich 9,5 Stunden täglich. Bei Kindern und Jugendlichen ist der Bewegungsmangel sogar noch gravierender, so bewegen sich etwa ausschließlich 6-7 Prozent der 14 bis 17-jährigen Mädchen ausreichend.

Die Ursachen hierfür sind sehr vielfältig. Die Entwicklung zeigt deutlich, dass Bedeutung, Präsenz und Natürlichkeit des Sports und ebenso unserer alltäglichen Bewegung, sich im stetigen Wandel befinden und so scheint es, stark unter den Einflüssen der Dynamik unserer Arbeitswelt, der Digitalisierung und der Sozialen Medien leiden. Hier mit einem kulturellen Wandel entgegenzuwirken wäre sinnvoll, doch bislang findet dieser weder in Kindergarten oder Schule durch Kompetenzvermittlung statt noch in anderen Settings wie dem Arbeitsplatz oder auch öffentlichen Räumen, in denen es an adäquaten Angeboten fehlt, die zur Bewegung und aktiven Regeneration einladen. Die zunehmende Elektromobilität, die aus ökologischen Gründen sicher zu befürworten ist, verschärft darüber hinaus das Problem der Bewegungsarmut, weil Scooter, Roller, E-Bike und Co. gesundheitsförderliche Fortbewegungsmittel mehr und mehr abhängen. Ohne gezielte, kulturelle und infrastrukturelle Gegenmaßnahmen gehe ich davon aus, dass unser vermeidlicher Fortschritt, die Aktivität und das Bewegungsverhalten weiterhin drastisch reduzieren werden.

Auf Ihrem Blog schreiben Sie, dass aller Komfort, der uns heute zur Verfügung steht, auf Kosten unserer Gesundheit geht. Welche Folgen kann diese Inaktivität haben?

Statistiken zufolge sterben heute weltweit etwa 4,5 Millionen Menschen jährlich an den Folgen von Bewegungsmangel. Daraus resultieren sekundär außerdem eine große Vielzahl an unterschiedlichen Erkrankungen wie zum Beispiel der Diabetes Typ 2, zahlreiche Erkrankungen des Herzens und Kreislaufsystems, Stoffwechselerkrankungen, degenerative Erkrankung des Gehirns sowie einige Formen von Krebserkrankungen, kann es uns Kosten, wenn wir uns dauerhaft zu wenig bewegen. Gesellschaftlich und ökonomisch hat diese „Kultur“ weitreichende Folgen: So werden Kinder und Jugendliche in ihrem Wachstumsprozess nicht ausreichend gefördert und aktiviert und in unserer zunehmend alternden Gesellschaft werden Menschen viel früher krank und pflegebedürftig. Der Bewegungsmangel zählt also für mich zur Hauptursache für die meisten zivilisationsbedingten Erkrankungen und beeinflusst damit die Leistungsfähigkeit und auch Produktivität der Gesellschaft unseres Landes. Darüber hinaus kostet sie jeden einzelnen wertvolle Lebensqualität!

Was muss sich in Sportdeutschland und darüber hinaus ändern, damit wir uns wieder mehr bewegen?

Um dem Bewegungsmangel in Deutschland orientiert an den unterschiedlichen Zielgruppen erfolgreich entgegenzuwirken, braucht es vielfältige Ansätze. Beginnend bei den Jüngsten steht für mich außer Frage, dass es eine (früh-)kindliche Prägung braucht, die regelmäßige Bewegung und Sportroutinen vermittelt, indem in KiTas, Grund- und weiterführenden Schulen die Freude an Sport und Bewegung in den Fokus gerückt und fest verankert wird. Geachtet der vielfältigen positiven Effekte durch ausgeprägte Bewegungskompetenzen, sportmotorische Fähigkeiten und sportliche Routinen auf Gesundheit und Entwicklung, wäre es mein großer Wunsch für die Zukunft der Kinder, Sport zum Hauptfach zu erklären! Es wirkt wohl kaum ein anderes Schulfach so weitreichend und nachhaltig auf Lebensqualität und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, sowohl physisch als auch psychisch.

Um dem Bewegungsmangel im Erwachsenenalter entgegenzuwirken, erachte ich verhältnispräventive Ansätze als das richtige Mittel. Etwa indem Arbeitgeber*innen Mitverantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen übernehmen, indem Sport- und Bewegungsangebote durch Kooperationen zwischen Unternehmen und lokalen Sportanbietern den Zugang zum Freizeitsport ebnen. Würden Städte und Kommunen den dringenden Handlungsbedarf erkennen und Sportstätten nicht am Rande, sondern zentral und prominent ansiedeln, könnte auch dies auf die Menschen eine wertvolle Signalwirkung haben. So erschließt es sich mir auch nicht, warum Sportanlagen nur wenige Stunden in der Woche geöffnet haben, angesichts des stetig steigenden Bewegungsmangels und seinen weitreichenden Folgen für das Individuum, unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft. Bei den passenden Lösungen sollte es nicht nur darum gehen, Menschen in Bewegung zu bringen, sondern insbesondere darum, die Bewegung auch räumlich zu den Menschen zurückzubringen und sie durch eine aktivierende Umwelt und infrastrukturelle Rahmenbedingungen dazu einzuladen aktiv zu werden. Die Mobilitätskonzepte der letzten Generationen haben dies leider konsequent und erfolgreich vernachlässigt.

Könnten Aktivierungsmaßnahmen wie die „Trimm-dich“-Bewegung der Spiele 1972 oder das Konzept „Active City“ aus der Hamburger Bewerbung 2024 ein Schlüssel sein, die deutsche Bevölkerung nachhaltig in Bewegung zu bringen?

Ich habe die Trimm-dich-Bewegung noch live erleben dürfen und war damals schon sehr begeistert von dem Geist, der durch die zugehörigen Aktivitäten in unsere gesamte Gesellschaft transportiert wurde. Und so freue ich mich insbesondere, dass die Stadt Hamburg es mit ihrem Konzept geschafft hat, eine gesamte Stadt zu aktivieren und zu mobilisieren. Wir brauchen in unseren Kommunen und Gemeinden bundesweit ganz dringend ähnliche Konzepte und Strategien, die bundespolitisch von mehreren Ministerien langfristig unterstützt und nachhaltig gelebt werden. Gleichzeitig würde ich mir Vorbilder aus allen Lebenswelten und Peer Groups wünschen, die mit gutem Bespiel voran gehen und mit ihrem Lebensstil Menschen begeistern und mit dem Bewegungsvirus infizieren. Die Ausrichtung von großen Sportveranstaltungen allein, wie die nahende Fußball EM, wird leider nicht dazu führen, dass unsere Gesellschaft sportlich aktiver wird. Hierzu braucht es motivierende Vorbilder und flächendeckend einladende Konzepte, die nachhaltig und integriert in die Lebenswelten der Menschen gestaltet sind.

Welche Gesundheitsaspekte müssen in einem zukünftigen Bewerbungskonzept berücksichtig werden? Was ist Ihre „Formel Froböse“ für eine deutsche Olympiabewerbung?

Sport und Bewegung sind ein Lebensmittel für jeden einzelnen von uns und für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit unserer Gesellschaft unverzichtbar. Für das Individuum birgt dieses Nahrungsmittel vielfältige positive Aspekte wie die Entwicklung von Persönlichkeit, Werten und sozialer Kompetenzen. Gleichzeitig vereint Sport, er überwindet Grenzen und Barrieren und entwickelt verbindende und harmonisierende Gesellschaftsstrukturen. Würden wir uns dieses immensen Potentials bewusst, so hätten wir die Chance, eine gesündere und glücklichere Gesellschaft zu kreieren.

Deutschland braucht dringend die Olympischen Spiele, um Sport und Bewegung als ein wesentliches Kulturgut unserer Gesellschaft für alle Menschen wieder nahbarer und zugänglicher zu machen. Vielleicht sogar, um gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen – so wie es bereits 1972 durch die Spiele in München möglich wurde. Es ging ein sportlicher Ruck durchs gesamte Land, der dann, in der erwähnten Trimm-dich-Fit-Aktion mündete. „Sport, Spiel und Spannung“ – das ist die Formel Froböse für unsere Olympiabewerbung.