„Wir wollen gigantische Spiele, aber keinen Gigantismus“

So lautete das Fazit des Fachtalks zum Thema IOC und internationale Sportpolitik: Eine mögliche deutsche Olympiabewerbung muss ohne den Gigantismus vergangener Spiele auskommen und vor allem zu Deutschland passen.

Frankfurt, 31. August 2023 – Im Rahmen der Dialoginitiative „DEINE IDEEN. DEINE SPIELE.“ fand der dritte Talk statt, der sich intensiv mit der Rolle des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und den Herausforderungen der internationalen Sportpolitik befasste.

Ein Fokusthema des Talks waren die durch die Agenda 2020+5 bereits vor vielen Jahren angestoßenen Reformprozesse beim IOC. Die Talkgäste waren sich einig, dass der Reformprozess des IOC, der bereits erste Ergebnisse zeigt, Anerkennung verdiene, in Deutschland aber noch nicht sehr bekannt sei. Dass bei der Vergabe mittlerweile Faktoren wie Nachhaltigkeit, Effizienz, Kostenreduzierung und Menschenrechte im Fokus stehen, spiele einer etwaigen deutschen Bewerbung, die vor allem auch auf diese Faktoren bauen würde, in die Karten.

Die vom IOC 2014 eingeleiteten Reformen werden bei den Spielen von Paris 2024 erstmals spür- und erlebbar und läuten eine neue Ära ein. Jacqueline Barrett, Direktorin der Future Olympic Games Hosts beim IOC, fasst das Ergebnis der Reformen in einem vorab veröffentlichen Interview wie folgt zusammen: „Die Spiele passen sich dem Gastgeber an, nicht der Gastgeber den Spielen.“ Juliane Seifert, die für Sport zuständige Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), sieht darin auch die Chance, die Sportbegeisterung im eigenen Land für Sportgroßveranstaltungen wie die Olympischen und Paralympischen Spiele neu zu entfachen.

Die Gäste waren sich einig, dass es bei einer zukünftigen deutschen Olympiabewerbung von höchster Bedeutung sei, ein Konzept zu entwickeln, das den Gegebenheiten Deutschlands entspreche und über alle Gesellschaftsschichten hinweg Mehrwerte schaffe. DOSB-Präsident Thomas Weikert brachte es mit diesen Worten auf den Punkt: „Wir wollen gigantische Spiele, aber keinen Gigantismus.“ Er schloss den Bau neuer Sportstätten aus und machte klar, dass Olympia in Deutschland nur dezentral funktionieren könne. Ganz im Sinne der New Norm des IOC, durch die zum Beispiel Mindestkapazitäten für Sportstätten aufgehoben, eine dezentrale Ausrichtung ermöglicht und die Nutzung bestehender Sportstätten anstelle von Neubauten festgesetzt wurde.

Das Bild zeigt von links nach rechts: Anke Feller, Thomas Konietzko, Léa Krüger, Felix Loch, Juliane Seifert und Thomas Weikert.
© DOSB/Ben Obst

Das waren die Statements der Gäste:

Thomas Konietzko – Präsident der Internationalen Kanu-Föderation (ICF)

„International haben wir noch einen weiten Weg vor uns – denn dort ist noch nicht angekommen, dass Sportdeutschland und die Politik hier vor Ort eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten.“

„Olympische Spiele in Deutschland wären unwahrscheinlich wichtig, um den Sport wieder in der Gesellschaft zu verankern.“

„Die negative Darstellung des IOC und der Olympischen Bewegung ist eine relativ isolierte deutsche Ansicht. Wir haben die Bemühungen des IOC, sich selbst und den Sport zu verändern, vielleicht nicht immer objektiv gewürdigt.“

Léa Krüger – Athleten Deutschland e.V.

„Ich finde nicht, dass wir es besser machen müssen als andere. Wir müssen unseren Weg gehen und die Spiele so gestalten, dass sie zu uns und zu unserem Land passen.“

„Als Athlet*in erhält man den Eindruck, dass die Entscheidungen seitens des IOC sehr lange dauern, intransparent sind und die Sicht der Athlet*innen bei Entscheidungen einfach übergangen oder übersehen werden.“

„Wir müssen zeigen, dass es möglich ist, den Gigantismus zurückzulassen und auf nachhaltige Strukturen zu setzen. Und das machen wir mit den Bestrebungen einer möglichen deutschen Bewerbung für die nicht neu gebaut werden muss.“

Felix Loch – Rennrodel-Olympiasieger

„Wir müssen bei einer erneuten Bewerbung darauf achten, dass wir Strukturen schaffen, die bleiben. Für den Spitzen- wie Breitensport und die Gesellschaft.“

„Winterspiele in Deutschland haben nur eine Chance, wenn wir sie beispielsweise im Verbund mit unseren Nachbarn Österreich und der Schweiz umsetzen.“

„Vom IOC erhoffe ich mir, dass wir als Athleten während Olympia mehr Rechte bekommen, die Spiele auch für uns als Bühne zu nutzen. Die Stimme der Sportler hatte in der Vergangenheit oft zu wenig Gewicht.“

Juliane Seifert – Staatssekretärin BMI

„Die Bundesregierung unterstützt eine Bewerbung unter der Prämisse, dass sie nachhaltig, transparent ist, die Gesellschaft in den Prozess einbindet und von dieser mitgetragen wird. So legt der DOSB den Strategie-Prozess auch an, was wir begrüßen.“

„Die Reformen des IOC mit den neuen Vergabenormen gehen in die richtige Richtung, mit Nachhaltigkeit in einem umfassenden Sinne, in sozialer und ökologischer Hinsicht. Dazu zählen auch die Signale, die Kosten zu senken. Wir werden in Paris sehen, ob und wie es funktioniert.“

„Wichtig ist es, menschenrechtliche Risiken bei internationalen Sportgroßveranstaltungen aufzuzeigen und ihnen zu begegnen. Hier wollen wir uns auch im eigenen Land nicht zurücklehnen und haben uns zum Beispiel in Vorbereitung der EURO 2024 mit der Entwicklung einer Menschrechts-Policy bereits auf den Weg gemacht.“

Thomas Weikert – DOSB-Präsident

„Dem Gigantismus der vergangenen Spiele wirkt das IOC mit der Agenda 2020+5 entschieden entgegen. Das erachte ich als eine wichtige Neuerung.“

„Wir wollen gigantische Spiele, aber keinen Gigantismus. Denn gigantische Spiele können wir uns nur mit Blick auf die Stimmung und der Teilhabe der Menschen an den Spielen leisten.“

Prof. Dr. Dr. Patricia Wiater – FAU Erlangen-Nürnberg

„In einer hitzigen Debatte um Menschenrechte im Sport, nimmt Deutschland eine wichtige Rolle ein. Wir belehren nicht nur, sondern wir wenden die Kritik auch selbst an. Das ist die Chance, eine deutsche Bewerbung zu prägen.“

„Das IOC schreibt sich die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, einen durchaus hohen Standard, auf die Fahne. Insofern dürften sich manche Problematiken, die sich in der Vergangenheit mit Blick auf Menschenrechte gestellt haben, in der Zukunft so eigentlich nicht mehr stellen.“

Den kompletten Stream zum Talk „DEINE KRITIK. DEINE IDEEN. DEINE SPIELE“ finden Sie unter: https://deine-spiele.de/deine-ideen/fachtalks/


Nächster Fachtalk: DEIN VEREIN. DEIN EHRENAMT. DEINE SPIELE.

Die Reihe der Fachtalks wird am Donnerstag, den 31. August, um 19 Uhr, fortgesetzt. Dann geht es um den Breitensport. Zu Gast sind:

  • Christopher Krähnert – Geschäftsführer Berliner TSC e.V.
  • Katarina Peranić – Gründungsvorständin der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt
  • Reinhard Rawe – Vorstandsvorsitzender LSB Niedersachsen
  • Michaela Röhrbein – Vorständin Sportentwicklung DOSB
  • Boris Schmidt – Vorstandsvorsitzender Freiburger Kreis